NARRENSPIEGEL 11-20
Der Augenblick, als aus dem gemeinsamen Traum der Herren S. ein Alptraum wurde (Narrenspiegel XI, 2018)
Einstellungsvoraussetzung für den Beruf des bayerischen Ministerpräsidenten scheint in erster Linie ja zu sein, dass der Nachname mit „S“ beginnt. Beginnt er mal mit „B“, dann ist die entsprechende Person auch gleich vergessen. Man sieht sich ja gerne als Nabel der Welt. Naheliegend also, in den Träumen der Herren S. aus einem der zahlreichen Steinbrüche des von ihnen so nachhaltig zerstörten Altmühltales den Bavarian Mount Rushmore entstehen zu lassen. Die Amigo-Consult & Co KG wird es schon zahlen. Doch jedes Denkmal beginnt irgendwann zu bröckeln. Mal mit mehr, mal mit weniger Nachdruck. Das aber ist der Alptraum der Herren S. …
Allen humanistisch Gebildeten viel Erfolg beim Entziffern der im Altmühl- und Donautal so typischen königlich-bayerischen Inschrifttafel. Eine grammatikalische Restunsicherheit bleibt, trotz eines hervorragenden Lateinlehrers.
Gott reicht's (Narrenspiegel XII, 2018)
Helle Aufregung im Vatikan! Irgendetwas hat sich verändert an der Decke der Sixtinischen Kapelle! Aus Adam, dem idealen Menschen, ist ein etwas fülliger, t(r)umber Jetztzeit-Mensch mit merkwürdiger Frisur geworden. Alles andere als der ideale Mensch. Und Gott zeigt deutlich, was er von den heutigen Welt-Führungskräften so hält. Die eilig herbei gerufenen Experten, ob aus Kurie, Wirt-schaft oder aus dem ehemaligen Beraterkreis des "neuen Adam" herausgefallen (und das wahrscheinlich über den rechten Rand), stehen ratlos davor. Ein Wunder! Aber unerwartet anders.
RTL II oder German Leitkultur (Narrenspiegel XIII, 2018)
Unter den entlarvenden Plakaten liegen die Couch-Potatoes und ergötzen sich an Reality-Soaps und Fake-News. Im Hintergrund erfreut sich ein auffallend kahl-köpfiger junger Mann an der brennenden Asylunterkunft draußen vor dem Haus und der Hemdsärmelige im Feinripp verschläft all das ebenso wie die drei Herren im Vordergrund nach ihrem Gelage. Ein deutsches Sittenbild. Der frühere hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer fragte einmal sinngemäß, wie wir es wagen können, stolz auf Goethe und Schiller zu sein, denn wir haben deren Werke nicht geschrieben. Das lässt sich dahin weiterspinnen, dass ein Großteil derer, die heute lauthals eine deutsche Leitkultur propagieren, diese Werke nicht nur nicht geschrieben haben, sondern auch nie freiwillig lesen würden. Worauf können wir also stolz sein? Doch nur auf das, was wir auch selbst geleistet haben. Und was soll dann eine deutsche Leitkultur sein? Deutsche Dieselmogelautos? Rechtsrock und Reality-Soaps?
Fünf Minuten RTL II dürften ausreichen, jeden Antwortversuch im Keim zu ersticken...
Kopf hoch (Narrenspiegel IV, 2018)
Die Bildidee entstand an einer Fußgängerampel, an der mehrere Menschen warteten, die auf ihr Smartphone schauten und Gefahr liefen, die Grünphase zu verpassen. Genau darum geht es: Nimmt uns die digitale Kommunikation inzwischen so gefangen, dass wir Gefahr laufen, wichtige Dinge im Leben zu verpassen? Müssen wir tatsächlich alles im Leben posten und teilen? Vielleicht sollten wir ab und zu den Kopf hochnehmen und davon abschalten. Raffaels Engel aus der Sixtinischen Madonna auf dem Plakat können da Vorbild sein. Es gilt, den neugierigen Blick auf die reale Welt neu zu entdecken. Und der geht manchmal auch nach oben.
Wellkamm tuh Dschörmenni (Narrenspiegel XV, 2018)
Was ist typisch deutsch? Wohl vieles, was hier klischeehaft auf dem Bild erscheint. Und wie wird man sich fühlen als Fremde oder Fremder in "Dschörmenni", vielleicht aus einem Land kommend, in dem Gastfreundschaft ein hohes Gut der eigenen Kultur ist? Fremd, vermutlich. Wie auch anders in einem Land, in dem es "Fremdenzimmer" statt "Gästezimmer" gibt und Fremdenfeindlichkeit mindestens ebenso weit verbreitet ist wie das Tragen weißer Socken zu Sandalen. Wobei die Schnittmenge hier sicherlich groß ist. Willkommen also in einem fremdelnden Land. Gastfreundschaft und Schutz zählen leider nicht zu dessen Errungen-schaften. Eher das, was auf dem Bild zu sehen ist. Und wer immer auf Knien um Einlass und Schutz bittet, dem bietet sich wohl genau dieses Bild...
Der Moment bei der allgemeinen Hirnverteilung, als Gott merkte, dass er nicht genug dabei hat (Narrenspiegel XVI, 2018)
Spässle? Ja, aber nicht nur. Von den Damen und Herren vom rechten Rand mit den dumpfen Parolen hin zu den Stars der privaten Fernsehsender scheint eines in diesen Tagen zu gelten: "Dumb ist beautiful", hohl ist hipp. Mit merkwürdigem Stolz wird das zur Schau getragen und die Masse jubelt. Je einfacher desto besser. Die Schlange der Menschen, die bei der allgemeinen Hirnverteilung zu spät kamen, ließe sich endlos verlängern. Bezeichnend für die Welt, in der wir leben, ist aber, dass man sie (er-)kennt.
USS Creationism, Sternzeit 6022 (Narrenspiegel XVII, 2018)
Evangelikale, insbesondere in ihrer US-amerikanischen Ausprägung, sind die christliche Antwort auf die Hisbollah, die Taliban und den IS zugleich. Ringt einem die konsequente Gewaltlosigkeit von Pietisten und Quäkern noch großen Respekt ab, beginnt spätestens beim Zusammenkommen kruder christlicher Heilsüberzeugungen mit einem waffenstrotzenden "America First" das Gruseln. Da jubeln evangelikale Ex-Präsidenten-Beraterkreise über die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem, weil es ein Schritt in Richtung Armageddon ist. Da wird der Kreationismus gleichberechtigt neben Darwins Evolutionslehre in den Schulen unterrichtet. Und da wählte man 2016 dann auch in der Konsequenz den entsprechenden Präsidenten gleicher wirrer Geisteshaltung. Das wirklich Gruselige daran ist, dass es in den USA eine breite und faktenferne Bewegung ist.
Das Bild nimmt dies auf. Auf dem fiktiven, natürlich flachen Raumschiff steht vorne David Barton. Barton, wenig überraschend texanischer Republikaner, ist TV-Prediger und positioniert sich gegen Abtreibung und die Rechte Homosexueller, bezweifelt den Klimawandel und hält Arbeitnehmer*innenrechte für Teufelswerk. Von da ist es dann nicht mehr weit zur Bücherverbrennung. Mit ihm singen berockte und dem evangelikalen Kopftuchzwang folgende Frauen das Halleluja. Adam und Eva müssen natürlich dabei sein, der Baum der Erkenntnis ist verdorrt und die Schlange verlässt das Boot, weil es nichts mehr zu holen gibt.
Der Titel ist eine Anspielung auf "Star Trek". Die Kreationisten gehen von einem Weltbeginn 4004 v. Chr. aus. 4004 + 2018 = Sternzeit 6022....
2028: Die Wiederentdeckung des EM-Finalballs von Belgrad (Narrenspiegel XVIII, 2018)
Mal ein Fußballbild. Wenn auch ein ganz eigenes.
20. Juni 1976, gegen 23:00 Uhr: Ein schwäbischer Metzgersohn tritt an, einen Elfmeter zu schießen. Vom Punkt steigt der Ball senkrecht in den Himmel und ward gerüchteweise nie mehr gesehen. Viele Suchexpeditionen seit damals scheiterten. Bis es 2028 zu einem Zufallsfund kam. Der weiteren Karriere des Ulrich H. aus U. tat der verschossene Elfmeter keinen Abbruch. Er wurde selbstherrlicher Präsident eines sich durch wenig Bodenhaftung auszeichnenden „Mia san mia“-Fußballclubs, gab sich sozial und hinterzog zugleich Millionen an Steuergeldern. Da dies wie auch das Schmuggeln teurer Uhren oder die Bestechung zweifelhafter FIFA-Funktionäre bei diesem Fußballclub zu den Kavaliersdelikten gezählt wird, tat es wiederum seiner Karriere keinen Abbruch. Die Geldkoffer aus der Schweiz hätte er damals ja am liebsten auf den Mond geschossen. Oder halt - hat er das nicht sogar getan? Auch das zeigt sich im Jahr 2028...
Warum der junge Moses nie das Surfen lernte (Narrenspiegel XIX, 2018)
Warum der junge Moses nie das Surfen lernte? Weil sich das Meer immer gleich teilte...
Neben allem Spaß an der Absurdität des Bildmotivs ist das Bild auch ein Plädoyer für die Vorzüge der "Normalität" zu mancher Zeit. Außergewöhnlich begabte Menschen sind häufig mit ebenso außergewöhnlichen Ansprüchen und Erwartungen an ihre Person konfrontiert. Das macht das Leben für diese Menschen nicht immer einfacher. Viele scheitern auch daran. So, wie der junge Moses am Surfen scheitert. Man kann seinen Wunsch förmlich spüren, manchmal auch einfach normal sein zu dürfen.
Tu felix Austria? (Narrenspiegel XX, 2019)
Die große Lebenslüge des modernen Österreich ist die Stilisierung zum ersten Opfer des Nationalsozialismus, ohne jemals eigene Schuld und deren Ursachen zu hinterfragen, obwohl zahlreiche Täter und Mörder des dritten Reiches Öster-reicher waren und nicht zuletzt auch Hitler selbst in Österreich "sozialisiert" wurde. Eine so wichtige Erinnerungskultur gab es nie. Das ist der Nährboden bis heute salonfähiger rechtsextremer Ressentiments in Österreich bis hin zu offen antisemitischen deutschnationalen Burschenschaften, denen zahlreiche Mitglieder einer Partei, die sich „freiheitlich“ schimpft, angehörten oder sogar noch angehören. Und den Satz "Das wird man doch wohl noch sagen dürfen“, gefolgt von entsprechend menschenverachtenden Aussagen, hört man sehr häufig in Österreich, nicht zuletzt auch vom volkstümlich-schaurigen Sänger Andreas G. Und so findet sich in den Kaiserappartements der Wiener Hofburg eine merkwürdige Szenerie zusammen. Im geballten K.u.K-Kitsch mit Sissi-Kleid, vorbeifahrendem Fiaker, Sachertorte, Mozartkugeln und Schneekugel mit Riesenrad sitzen still verzweifelt die Vertreter eines vergangenen Österreichs in seiner kulturellen Blüte. Bezeichnenderweise am rechten Rand finden sich dann Vertreter eben jenes rechten Randes, von Politikern in Burschenschaftsuniform über den eine unrühmliche Tradition erzkonservativer und fremdenfeindlicher Kirchenvertreter in Österreich fortsetzenden ehemaligen Salzburger Weihbischof bis hin zu den beiden Verursachern des ersten und zweiten Weltkrieges. Dahinter schreit Andreas G. zum Leidwesen Mozarts seine plumpe Volkstümlichkeit ins Mikrofon. "Tu felix Austria" ist schon lange nicht mehr. Im Vordergrund zeigt eine Figur aus dem "Fest des Bohnenkönigs" von Jacob Jordaens, zu sehen im Kunsthistorischen Museum in Wien, deutlich, was er davon hält: Er findet´s zum Kotzen!